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Wir müssen reden – aber vielleicht weniger übereinander?

Wir müssen reden – aber vielleicht weniger übereinander?

Design Business Days 2025: Zwei Tage voller KI-Cases, Workshops und Strategietalks. Und einem Moment, der vielleicht mehr über die Kreativbranche verrät als alle Keynotes zusammen. Ein Recap.

Design Business Days 2025 - Anne Kaiser und Conrad Breyer
Strategie-Workshop von Till Oyen (Radikant)

Curio-Haus, Hamburg Rothenbaum, am späten Vormittag des 2. Oktober. Die Design Business Days 2025 laufen seit etwas mehr als 24 Stunden, und im Workshop spekuliert ein Raum voller Kreativer darüber, wie Entscheider:innen in mittelständischen Unternehmen wohl ticken. Wahrscheinlich „eher konservativ“, vermuten gleich mehrere Designer:innen. Und sicher haben sie „Angst vor Veränderung und Innovationen“. 

Auf dem Stuhl neben mir, im hinteren Drittel des Raums, rutscht eine junge Frau im Businessdress unruhig hin und her. Mehrfach versucht sie, sich bemerkbar zu machen. Vergeblich. 

In der Mittagspause kommen wir ins Gespräch. Ich frage nach, was sie so nervös gemacht hat. Es stellt sich heraus: Sie ist Marketingleiterin eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens – eine der wenigen Vertreterinnen aus der Industrie auf der Veranstaltung. Und sie ist alles andere als einverstanden mit den Zuschreibungen aus dem Workshop. Ihr Unternehmen sei alles andere als innovationsscheu und konservativ … 

Eine kleine Anekdote nur. Aber sie bringt auf den Punkt, worum es an beiden Event-Tagen eigentlich ging. Doch der Reihe nach:

KI: Weniger Drama, mehr Klarheit

Die dritte Ausgabe der Design Business Days legte viel Gewicht auf das Empowerment der Kreativbranche. Leitfrage: Wie können Kreativschaffende in Zeiten von KI ihren Stellenwert behaupten bzw. neu definieren?

Mein Eindruck: Die Antworten werden konkreter und deutlich weniger mantrahaft. Der Hype (wahlweise: die Angst) weicht langsam einem Verständnis für die tatsächlichen Grenzen und Möglichkeiten der Technologie.

Ein Beispiel: Der Case „Eternal Bloom“ von Jan Kruse (Fork Unstable Media) und Aaron Hahn (SWR). Für die Schwetzinger SWR Festspiele wurde eine neue CI geschaffen – visuell ansprechendes Hochglanz-Design, basierend auf den geometrischen Strukturen der barocken Schlossanlage, optimiert für digitale Anwendungen. Als belebendes Element: animierte Sequenzen von farbgewaltigen Blumen-Close-Ups.

Auf die Publikumsfrage, welcher Teil des Designsystems denn KI-generiert sei, stellte sich heraus: nur die floralen Bildsequenzen. Ein relativ kleiner Teil der gesamten Arbeit also. Eine Antwort, die manche enttäuscht, andere beruhigt haben wird.

Was heißt das für die Praxis? KI ist Werkzeug, nicht Wundermittel. Und: Die Marketing-Kommunikation von Projekten überhöht oft den KI-Anteil – was unrealistische Erwartungen schürt.

Noch interessanter aber: Dieser Case hat dafür gesorgt, dass die Rechtsabteilung des SWR (und in dem Zusammenhang auch die der ARD) ein eigenes Konzept für die Nutzung von generativer KI im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erstellt hat. Ein starkes Beispiel dafür, wie Kreativschaffende als Early Adopter gesellschaftlichen Wandel anstoßen.

Use Case von Aaron Hahn (SWR) und Jan Kruse (Fork Unstable Media)
Use Case von Jasper Krog und Simon Graff

Wo der Business Case klar ist, wird’s ernst

Dass dieser Wandel in der freien Wirtschaft oft schneller vollzogen wird, zeigte der Case von Simon Graff und Jasper Krog (Gebr. Heinemann): „AI goes Business“. Die beiden gaben lebhafte Einblicke in ihre Zusammenarbeit und verdeutlichten, an welchen Stellen KI-Anwendungen sinnvoll in den Design-Prozess integriert werden können – und an welchen nicht. Zudem präsentierten sie Strategien, um Mitarbeiter:innen mitzunehmen, Ängste abzubauen und Nutzen niedrigschwellig erfahrbar zu machen.

Gleichzeitig wurde klar: Wo der ökonomische Vorteil der KI-Nutzung eklatant ist – etwa bei der Produktion von werblichem Bildmaterial mit kurzer Halbwertzeit – werden Unternehmen künftig immer weniger auf konventionelle Weise Content erstellen (lassen).

Was heißt das für die Praxis? Kreative sollten nicht gegen KI argumentieren, wo der Business Case eindeutig ist. Stattdessen: den eigenen Mehrwert dort positionieren, wo menschliche Expertise unersetzlich ist – Strategie, Konzeption, Kontextverständnis.

Strategisch denken heißt: zuhören

An Tag 2 ging es verstärkt um die strategische Positionierung von Designer:innen in der Business-Landschaft. Markenberaterin und Autorin Maren Martschenko sprach über das Thema ihres Longsellers „Design ist mehr als schnell mal schön“. Sie gab hands-on Beispiele für strategische Fragen im Designkontext und umriss die künftige Rolle der Kreativen als strategische Sparringspartner:innen auf Augenhöhe mit dem Management.

Im Workshop „Strategisch denken für Designer:innen“ stieg Radikant-Co-Founder Till Oyen dann tiefer in dieses Thema ein – unter anderem, indem er Einblicke in die Denk- und Handlungsmuster von Unternehmensvertreter:innen vermittelte. Er gab viele gute Hinweise, um die Partner:innen auf Unternehmensseite besser zu verstehen und zu überzeugen.

Und dann passierte es: die eingangs beschriebene Szene mit der Marketingleiterin.

Ein wenig sinnbildlich für den Status Quo, oder? Da wird über strategische Positionierung auf Augenhöhe gesprochen – und gleichzeitig spricht ein Raum voller Kreativer über „die Unternehmen“, als wären sie eine homogene Masse rückständiger Bedenkenträger. Während eine echte Vertreterin genau dieser Unternehmen im Raum sitzt. Und nicht gehört wird.

Was heißt das für die Praxis? Strategisch denken beginnt mit echtem Interesse an der anderen Seite. Nicht mit Projektionen und Annahmen. Vielleicht sollten wir öfter die eigene Echokammer verlassen – und tatsächlich mit den Menschen reden, für die wir gestalten wollen.

Keynote von Mara Martschenko
Keynote von Antje Kruse-Schomaker (IBM iX)

Keine Simulation ersetzt das Gespräch

Diese Erkenntnis unterstrich auch die abschließende Keynote „The State of Digital Design“ von Antje Kruse-Schomaker (IBM iX). Sie betonte die hohe Qualität, die KI bereits bei analytischen Aufgaben wie der Persona-Erstellung liefert – wies aber explizit darauf hin, dass keine Simulation die echte Recherche und das Gespräch mit der Zielgruppe ersetzt.

Ein Satz, der in seiner Schlichtheit nach zwei Tagen zum Kern vordringt: Technologie kann vieles simulieren. Aber wir leben und arbeiten immer noch in der Wirklichkeit.

Vielleicht ist die eigentliche Disruption also gar nicht die KI. Sondern die Frage, ob wir endlich lernen, miteinander statt übereinander zu reden. Die Werkzeuge dafür haben wir längst – sie sind nur nicht generativ, sondern kommunikativ.

Die Marketingleiterin übrigens hat mir in der Pause erzählt, dass ihr Unternehmen gerade ein großes Re-Branding plant. Mit externer Agentur. Ich hoffe, die Agentur hört besser zu als die Kreativen im Workshop-Raum.

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